Prickel-Pit im Kleinfeldchen – Lesung im Wiesbadener Literaturhaus, September 2010

Bei rund 93 000 Neu­er­schei­nun­gen auf dem deutsch­spra­chi­gen Bücher­markt allein im ver­gan­ge­nen Jahr hät­ten es lite­ra­ri­sche Debüts nicht leicht, meinte die Lei­te­rin des Wies­ba­de­ner Lite­ra­tur­hau­ses, Susanne Lewal­ter, zu Beginn der Lesung von Sabine Hut­tel in der Villa Cle­men­tine…

Prickel-Pit im Kleinfeldchen

11.09.2010 – WIESBADEN

Von Marianne Kreikenbom

LITERATURHAUS Sabine Huttel und ihr in Wiesbaden spielender Roman „Mein Onkel Hubert“

Bei rund 93 000 Neuerscheinungen auf dem deutschsprachigen Büchermarkt allein im vergangenen Jahr hätten es literarische Debüts nicht leicht, meinte die Leiterin des Wiesbadener Literaturhauses, Susanne Lewalter, zu Beginn der Lesung von Sabine Huttel in der Villa Clementine. Ihr Debütroman „Mein Onkel Hubert“ war 2009 im Berliner Osburg-Verlag erschienen. Nein, schwer sei es eigentlich nicht gewesen, einen Verlag zu finden, berichtete sie später im Gespräch mit Tagblatt-Kulturredakteurin Birgitta Lamparth, der Moderatorin des Abends. Es habe nur sehr lange gedauert, bis sie eine Zusage erhalten habe und noch ein Jahr bis zum Erscheinen ihres Buches.

In „Mein Onkel Hubert“ erzählt die 1951 in Wiesbaden geborene Autorin von der zwölfjährigen Helmi Schücking, der unehelichen Tochter einer jungen Frau, die sich als Schneiderin durchs Leben schlägt und noch etwas vom Leben haben will. Helmi müsse sich 150-prozentig gut benehmen, um als uneheliches Kind ohne Vater vor den anderen zu bestehen. So seien die eben, meint die Mutter – damals, 1960. Im Rückblick zeichnet Sabine Huttel ein stimmiges, oft punktgenaues Bild des Lebens in einer noch jungen Bundesrepublik, in der Themen wie Nationalsozialismus und Sexualität als Tabus gelten. Helmi glaubt, im 50-jährigen Hubert Fels endlich einen potenziellen Vater gefunden zu haben. Bis sich der bewunderte Klavierspieler dem Mädchen in einer Art und Weise nähert, die all ihre Hoffnungen zunichte machen.

Der Geist der Zeit weht kräftig zwischen den Zeilen des Buches, wenn etwa Helmis Geschichtslehrer wie selbstverständlich die Landkarte von „Deutschland in den Grenzen von 1937“ entrollt oder die Mädchen in der Klasse begeistert Bubblegum kauen, während Helmi das billigere Prickel Pit bevorzugt. Viele solcher Einzelheiten seien Erinnerungen an die eigene Kindheit im Wiesbaden der 50er Jahre, berichtete Sabine Huttel. „Die Luft dieser Zeit habe ich reichlich eingeatmet.“ Ein Alter Ego sei Helmi jedoch nicht. „Die eigentliche Helmi-Geschichte ist nicht meine Geschichte.“

Die Idee zu ihrem Roman verdankt Sabine Huttel nach eigener Aussage einem Leseerlebnis: Vladimir Nabokovs „Lolita“. Ohne sich mit ihm messen zu wollen, habe sie die Lektüre inspiriert, die Geschichte eines sexuellen Missbrauchs ausschließlich aus Sicht des Mädchens zu schreiben, ohne es vordergründig in die Opferrolle zu drängen. Helmis Sicht der Dinge bleibe in der Schwebe zwischen Wahrheit, möglicher Phantasie oder auch Fehldeutungen, die eine allgemeine Tabuisierung und Sprachlosigkeit sicher begünstige.

Bei der Erinnerung an das Wiesbaden ihrer Kindheit habe ihr ein Stadtplan von 1960 geholfen, den ihre Schwester zufällig noch besitze. Die Eintrittspreise von Opelbad und Kleinfeldchen habe sie recherchieren müssen, und die Gneisenaustraße, in der Helmi wohnt, sei von ihrem Bruder in allen Einzelheiten fotografiert worden. Auch ihr nächstes Buch widme sich wieder einem heiklen Thema, sagte Sabine Huttel – ohne zu verraten, welchem.

 

 

Hier der Link zum Bericht von Marianne Kreikenborn im Wiesbadener Tagblatt, 11.09.2010:

http://www.wiesbadener-tagblatt.de/region/wiesbaden/meldungen/9379476.htm

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