Sieben Geschichten über das Anderssein – Ralf Julke in „Leipziger Internetzeitung“

Es ist mehrfach mutig, was Sabine Huttel in ihrem Erzählband versucht. Alle sieben Geschichten handeln von Außenseitern. Alle handeln von Männern, meistens jungen, auch ein paar alten darunter. Der Star dieser Kollektion: Ein gestandener Familienvater, der sich nach dem Tod seiner Frau einen seltsamen Mitbewohner ins Haus holt…

Slalom: Sieben Geschichten über das Anderssein

Ralf Julke, 07.06.2011

Es ist mehrfach mutig, was Sabine Huttel in ihrem Erzählband versucht. Alle sieben Geschichten handeln von Außenseitern. Alle handeln von Männern, meistens jungen, auch ein paar alten darunter. Der Star dieser Kollektion: Ein gestandener Familienvater, der sich nach dem Tod seiner Frau einen seltsamen Mitbewohner ins Haus holt.

Am Telefon unterhalten sich seine Kinder über diesen eigenartigen Herrn Fortner – und tun sich schwer damit zu akzeptieren, dass ihr Vater nun an seinem Lebensabend seiner sexuellen Orientierung nachlebt.

Die sieben Geschichten sind im Grunde alles Geschichten der Camouflage, des erzwungenen Versteckspiels. Denn die neue deutsche Liberalität, die es sogar aushält, dass homosexuelle Politiker in höchste Ämter aufsteigen können, geht damit in den Niederungen der Gesellschaft noch längst nicht freizügig, offen und tolerant um. Schon die heiklen Diskussionen im deutschen Fußball zeigen ja, wo die Gefahrenzone beginnt. Und für manchen, der seine sexuelle Orientierung auch ausleben will, wird es gefährlich. So wie in der Geschichte „Neuland“, die mit dem Satz beginnt: „Der Tag, an dem Stefan zusammengeschlagen wurde, war einer der aufregendsten und schönsten seines Lebens.“

Manchmal entscheidet schon der Ort, an dem einer aufwächst, darüber, wie offen er mit sich und seiner Sexualität umgehen kann. Manchmal auch die Kultur oder die eigene Familie. So wie bei Nikos, der eh schon so seine Sorgen hatte, seine Veranlagung zu leben und sich vom Elternhaus zu lösen, – und dann findet ausgerechnet seine Schwester im selben Haus eine Wohnung und die Sache droht aufzufliegen.

Manche der Helden, die die in Wiesbaden geborene Autorin erschafft, stecken tief in der Sackgasse. Jonas in „Slalom“ hat eigentlich keine Probleme, die tollsten Mädchen zu bekommen – doch dass da eigentlich etwas anderes in ihm gärt, kann er nicht zugeben.

Sabine Huttel hat Medizin, Germanistik und Sozialwissenschaft studiert, als Lehrerin gearbeitet und in Orchestern musiziert. Der analysierende Blick auf ihre Helden ist deutlich wahrnehmbar. Wie gehen sie mit dem Problem um? Wie geht ihre Umgebung damit um? – Das Beispiel zweier schwuler Freunde, sagt sie, hätte sie dazu angeregt, über die Spannungen und Schwierigkeiten zu schreiben, die männliche Homosexuelle erleben. Aus Alltagssituationen, wie sie jeder erlebt, entwickeln sich kleine, komplexe Dramen. Fast Fallbeispiele, die auch andeuten, dass Homosexualität gar nicht der einzige Grund sein muss, warum mancher in solche Probleme gerät. Richard zum Beispiel in „Feierabend“, der von einem Coming-Out meilenweit entfernt ist und sich aus Frust mit Tortilla-Chips vollstopft. Sein drittes Problem: Er lebt auch noch in einem Kaff in der norddeutschen Provinz.

Alle sieben Geschichten leben von dem, was man tatsächlich die „deutsche Angst“ nennen kann. Das, was tatsächlich dafür sorgt, dass die meisten gar nicht auf den Gedanken kommen, ihr eigenes Leben zu leben. Die Homosexualität ist dabei nur ein Beispiel. Ein besonders markantes natürlich, denn für jene, die es betrifft, beginnt der Druck, es zu verbergen, meist schon in der Familie, in der Nachbarschaft, im eigenen Dorf. Und auch unter den großen Städten des Landes gibt es solche, in denen sich eine bunte Szenerie ausgebildet hat, in der auch die gleichgeschlechtlichen Lebensweisen akzeptiert sind, – und schon in der nächsten Stadt riskiert man dafür, verprügelt zu werden.

Aber wie gesagt: Das betrifft nicht nur das sexuelle Anderssein. Die Gewaltattacken auf deutschen Bahnhöfen, die es in der letzten Zeit in die Medien geschafft haben, zeigen, welch simple Gründe oft genügen, die Aggression gegen Einzelne zu entfachen. Mal ist es die Hautfarbe, mal die Kleidung, mal die Frisur – manchmal auch einfach die Freude, die andere an ihrem selbstgewählten Lebensstil haben und die Neid erzeugt, diesen bösen Stiefbruder der Bewunderung. Das ist nicht nur in der englischen Provinz so, das ist auch in der deutschen Provinz so. Und nicht nur dort.

Das scheinbar so weltoffene Deutschland ist voller Maskeraden und Legenden, die jederzeit abrufbar sind – von Biertischrednern genauso wie von dreisten Politikern. Es gibt Standardbilder für das, was ein Mann zu sein hat, die funktionieren selbst in erlauchten Aufsichtsräten und den meisten Vereinen.

Natürlich sind es Schutzschilde, der Versuch, die eigene Welt begreifbar und unveränderlich zu denken. Und alles was stört und verunsichert, muss mit dieser manchmal subtilen, manchmal brutalen Abwehr rechnen. Die zwar nichts verändert – denn kompliziert bleibt das Leben ja doch. Die Grenzen sind längst fließend und die alten, muffigen Milieus sind längst im Auflösen begriffen.

Deswegen wirken die sieben Geschichten auch eher wie gut gewählte Fallbeispiele, die manchmal nur ahnen lassen, dass die sexuelle Orientierung nur ein Teil der Dramatik ist – gerade wenn es um das Gefühlsleben von Heranwachsenden geht, die in den meisten Geschichten die Hauptrolle spielen. Aber das darzustellen, ist wirklich nicht einfach. Das schaffen ja nicht einmal die jungen Leute selbst.

www.l-iz.de oder direkt zum Artikel: www.l-iz.de/Bildung/Bücher/2011/06/Sabine-Huttel-Sieben-Geschichten-ueber-das-Anderssein.html

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