Sabine Huttel schreibt über Schwule, die zwischen Promiglanz und Szeneglitter aus dem Bild der öffentlichen Wahrnehmung fallen… SLALOM ist etwas Besonderes, ein Buch voller literarischer Verspieltheit und detaillierter Beobachtung…
Siegessäule, Berlin, 1. Mai 2011
Spurensuche
„Slalom“ heißt das bemerkenswerte Buch von Sabine Huttel, das sieben schwule Alltagsgeschichten erzählt.
„Der Tag, an dem Stefan zusammengeschlagen wurde, war einer der aufregendsten und schönsten seines Lebens.“ Das Gute an einem Buch voller Erzählungen ist, dass es viel Platz für erste Sätze gibt, lebensnahe („Zum hundertsten Mal versuchte er den Rhythmus hinzukriegen.“), banal anmutende („Wer behauptet, Chips wär’n alle gleich, hat wirklich keine Ahnung, dachte Richard.“) oder brillante wie der von Stefan. Sabine Huttel hat sieben Chancen auf den berühmten ersten Satz und nutzt jede einzelne mit Verve – nutzt sie, um schwule Geschichten aus der Mitte der Gesellschaft zu erzählen, von den Menschen, die zwischen Promiglanz und Szeneglitter aus dem Bild der öffentlichen Wahrnehmung fallen.
„Slalom“ erzählt von Fußballerwaden und der ersten großen Liebe, den Tücken der Wohnungssuche, HIV und dem perfekten Zimtstern. Unter anderem. Die 1951 geborene Sabine Huttel liebt ihre Protagonisten, allesamt schwule Männer und Jungs, und skizziert deren Suche nach Akzeptanz und einem Platz im Leben mit Respekt und Empathie. Die braucht es auch, wenn eine (heterosexuelle) Frau von fast 60 Jahren sich anschickt, Geschichten über meist jugendliche Schwule zu schreiben. „Gerade das, was einem Menschen fremd ist, setzt doch besonders viel Aufmerksamkeit und gedankliche Tätigkeit in Gang und hat eine besonders intensive Auseinandersetzung zur Folge“, findet sie. Also interviewte sie – zunächst im Freundeskreis, dann in den Schwulenzentren nahe gelegener Großstädte – Männer zwischen 14 und 37. „Durch meine schwulen Freunde habe ich viel von den Problemen und Spannungen mitbekommen, denen sie ausgesetzt sind. Das war sicherlich die wichtigste Triebfeder für mich, dieses Buch zu schreiben.“
Bereits während ihrer langjährigen Arbeit als Lehrerin fiel Huttel immer wieder die Unsichtbarkeit nicht- heteronormativer Lebensentwürfe im Lehrplan auf. „Unter unzähligen Liebesgeschichten, die im Unterricht gelesen werden sollen, ist nicht eine homosexuelle, von den Lehrbüchern gar nicht zu reden“, sagt sie. „Wie muss man sich fühlen, wenn man überhaupt nicht vorkommt?“
Nur eine der vielen Fragen, die Auslöser für den Erzählband wurden. Während der langen Recherchen schrieb sie ihren ersten Roman. „Mein Onkel Hubert“ ebnete den Weg für das bei deutschen Verlagen eher ungeliebte Kurzgeschichten-Genre. Sie musste nicht lange Klinken putzen, obwohl (oder weil?) sie auf reißerische Situationen verzichtet und sich eher im Alltag ihrer Helden bewegt. „Ich bin nicht so gerne explizit. Ich schreib nicht gerne Lösungen für Probleme auf, sondern verlasse mich eher auf die Imagination der Leser.“ Experiment geglückt: „Slalom“ ist etwas Besonderes, ein Buch voller literarischer Verspieltheit und detaillierter Be- obachtung, dessen zuweilen absurd anmutende Geschichten die Spuren des Lebens tragen.
Tania Witte
www.siegessaeule.de, und hier geht’s zu Tania Wittes Homepage: www.taniawitte.de