Mit den Augen eines Kindes – Birgitta Lamparth in „Wiesbadener Tagblatt“

Er klingt so harmlos, dieser Buchtitel. Dabei seltsam vertraut. Und das enthält schon einen Hinweis: Denn „Mein Onkel Hubert“ spielt auf Humbert Humbert an, jenen wahnsinnigen, pädophilen Triebtäter aus Vladimir Nabokovs „Lolita“…

Mit den Augen eines Kindes

17.04.2010 – WIESBADEN

Von Birgitta Lamparth

BUCHTIPP Sabine Huttels „Mein Onkel Hubert“

Er klingt so harmlos, dieser Buchtitel. Dabei seltsam vertraut. Und das enthält schon einen Hinweis: Denn „Mein Onkel Hubert“ spielt auf Humbert Humbert an, jenen wahnsinnigen, pädophilen Triebtäter aus Vladimir Nabokovs „Lolita“. Aus dieser Lektüre entwickelte sich die Idee für Sabine Huttels Roman (siehe das Gespräch mit der Autorin auf dieser Seite).

Onkel Hubert – das ist ein unkonventioneller Klavierlehrer, dem die zwölfjährige Helmi Schücking im Wiesbaden des Sommers 1960 begegnet. Helmi ist ein uneheliches Kind. Zuhause erfährt sie keine Zärtlichkeit, keine Offenheit. Eine Außenseiterin auch ihre Mutter: Ohne Ehemann bringt sie sich und ihre Tochter mit Näharbeiten durch. Und Urlaub bedeutet für sie, in die DDR zu fahren und der Mutter zu helfen, die nicht aufhört hat, ihr vorzuhalten, dass sie Helmis Vater nicht geheiratet hat.

Dass der ein Nazi gewesen ist, darüber spricht man nicht. Auch über Gefühle oder gar Sexualität nicht. Als Helmi den lebenslustigen und unkonventionellen Klavierlehrer kennenlernt, scheint sich alles zu ändern. Hubert und ihre Mutter verstehen sich gut. Und Helmi hofft, endlich einen Vater zu finden. Aber es kommt anders: Als Onkel Hubert Helmi mitnimmt in ein zweiwöchiges Kinderferienlager, lernt sie ihn von einer ganz anderen Seite kennen…

Sabine Huttel baut von Anfang an einen Spannungsbogen auf, dem man sich nicht entziehen kann. Wie in einer Zeitreise erlebt man die Tabus und die Intoleranz aus der Sicht einer Zwölfjährigen – mit all den Beschränkungen und Sehnsüchten, die dazugehören. Wunderbar feinfühlig schildert Sabine Huttel das Leben der kleinen Familie, die Stummheit der Mutter, wenn links und rechts „in den „senkrechten Falten rechts und links von ihrem Mund die Vorwürfe nisten“ oder wenn Helmi sich aus Trotz „weigert einzuschlafen“. Aber auch das kleine Glück findet Raum in dieser Welt zwischen Nähmaschinen-Geratter und Prickel-Pit-Genuss. Mit einer sehr dichten, sehr präzisen Sprache und viel Zuneigung zu ihren lebensnahen Figuren zeigt Sabine Huttel, wie durch Sprachlosigkeit und ein Gefühls-Vakuum Gefährdung entstehen kann. „Mein Onkel Hubert“ fällt keine leichten Urteile. Es erzählt ungeheuer plastisch und intensiv von einer Zeit, aus der man nur lernen kann.

http://www.wiesbadener-tagblatt.de/region/kultur/lokale-kultur/8767862.htm

 

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