Sabine Huttel verfügt über eine präzise, eindringliche und doch subtile Sprache, die einen mit wenigen Sätzen in eine Geschichte eintauchen und mit den Figuren mitfühlen lässt… Auf wenigen Seiten schafft Sabine Huttel es in all ihren Erzählungen, spannend, bewegend und äußerst differenziert einem Konflikt nachzugehen, Gefühlen nachzuspüren, Leben zu zeichnen. Einer so schwungvollen, sprachlich sensiblen und einfühlsamen Erzählerin hört man gerne zu…
Schweizer Kulturportal „Nahaufnahmen“, www.nahaufnahmen.ch, 12.06.2011
Einfühlsame Geschichten über das Anderssein
Sabine Huttel hat sich mit ihrem Erzählband „Slalom“ viel vorgenommen. Und Sie beweist einmal mehr, dass sie eine ganz hervorragende, einfühlsame und sprachmächtige Erzählerin ist.
Von Sandra Despont.
Schon mit ihrem Debütroman „Mein Onkel Hubert“ hat Sabine Huttel eindrucksvoll bewiesen, dass Sie meisterhaft Stimmungen kreieren und ihre Leser mit wenigen Worten mitten in das Leben ihrer Figuren führen kann, dass sie ein Händchen hat für ebenso liebevolle wie humorvolle Darstellungen von durchaus ernsten, wenn nicht gar tabuisierten Themen. Auch „Slalom“ ist atmosphärisch dicht, anrührend und einfühlsam erzählt, ohne jemals gefühlsduselig zu werden. Diesmal hat sich die Autorin die Latte aber gleich in mehrfacher Hinsicht noch höher gelegt als bei ihrem Erstlingsroman.
In griechischen Familien gibt’s keine Schwuchteln!
Die erste hohe Latte: Das Thema, um das alle sieben Erzählungen kreisen. Denn egal ob ihre Figuren den Einzug der Schwester in die Nachbarswohnung fürchten, über die richtige Tageszeit für das Verspeisen von Tortilla Chips philosophieren oder am schönsten Tag ihres Lebens bewusstlos geschlagen werden, immer wird ihr Schicksal dadurch verkompliziert, dass sie schwul sind. Manchmal ist die sexuelle Orientierung bloss ein Hintergrundgeräusch, ein Merkmal unter vielen, manchmal ist es bloss eine kleine Irritation im Umfeld, die für Verunsicherung sorgt, manchmal aber schlägt Sabine Huttels Figuren unreflektierter und handfester Schwulenhass entgegen. Sei dies in der gegrölten Bemerkung eines Betrunkenen, in Form klebender Spucke und Fäusten in der Magengrube oder in der Erinnerung an den griechischen Onkel, der zum Thema Perversion erklärte, dass es in griechischen Familien schlicht keine Schwulen gäbe – und wenn doch, so würde er die kurzerhand und eigenhändig an einem Baum aufhängen. Immer wieder werden Sabine Huttels Figuren auf sich selbst zurückgeworfen, immer wieder müssen sie sich als die Andersartigen verteidigen, immer wieder werden sie durch ihr Anderssein mit zusätzlichen Konflikten beladen. Die jungen Erwachsenen in „Slalom“ werden unter erschwerten Umständen gross, stellen sich noch nachhaltiger in Frage als heterosexuelle Altersgenossen und erleben einen noch schmerzhafteren Selbstfindungsprozess. Die Nöte der Pubertät sind hier gleichsam konzentriert und dadurch umso eindringlicher und nachvollziehbarer. Auch für Nicht-Schwule Leserinnen und Leser.
Marktstrategisch mag die Entscheidung, sich einer kleinen Minderheit zu widmen, und dazu noch einer Minderheit, der weder ein Hauch von Exotik noch der Bedrohtheit anhaftet, äusserst ungeschickt erscheinen. Doch es bleibt zu hoffen, dass sich gerade auch heterosexuelle Menschen von Sabine Huttels einfühlsamen, nie ins Klischee abrutschenden Schilderungen ansprechen lassen. Es ist ganz erstaunlich, wie die Autorin mit einer präzisen, schöpferischen, nie grossspurig oder gesucht originell wirkenden Sprache ihre Figuren in ihrer ganzen Verletzlichkeit schildert, ohne sie auf ihre Rolle als potenzielle Opfer homophober Attacken zu reduzieren. Mit grosser Stilsicherheit balanciert Sabine Huttel auch über Abgründe wie die Beschreibung sexueller Regungen oder Banalitäten wie der Chipsverspeisung. Was Feinfühligkeit und ein sicheres Gespür für den richtigen Ton anbelangt, ist auf die Autorin derart Verlass, dass man ihre Werke wohl auch dann noch bedenkenlos kaufen könnte, beschlösse sie eines Tages, fortan ausschliesslich über die Fellqualität verschiedener Rassekatzen zu schreiben.
Kleine Universen
Und dann ist „Slalom“ zu allem Übel auch noch ein Erzählungsband. Abgesehen von Meisterinnen des Genres wie Alice Munro ist Erzählungen moderner Autorinnen meist keine allzu gütige Aufnahme beschieden. Doch wer dieser Kurzform nicht ganz abgeneigt ist, sollte sich ruhig einmal an „Slalom“ heranwagen, denn Sabine Huttel verfügt über eine präzise, eindringliche und doch subtile Sprache, die einen mit wenigen Sätzen in eine Geschichte eintauchen und mit den Figuren mitfühlen lässt. Mit wenigen Dialogen, mit der Beschreibung scheinbarer Nebensächlichkeiten, indem sie ihre Figuren über sich selbst und ihr Leben nachdenken lässt, zeichnet die Autorin kleine Universen, die, ohne plump oder fragmentarisch zu wirken, für sich bestehen können. Besonders eindringlich gelingt Sabine Huttel die Annäherung an Figuren, Situation und Handlung etwa in den Coming-out-Geschichten „Schlüsselloch“, „Slalom“ und „Neuland“. In diesen wird die Spannung zwischen eigenem Gefühl und der Idee der Normalität, zwischen Individuum und einer Gesellschaft, die trotz offizieller Toleranz Homosexualität immer noch als Auffälligkeit betrachtet, besonders deutlich. Die Sympathien liegen eindeutig bei den jungen Menschen, die zuweilen an sich selbst und ihren Neigungen verzweifeln und durch das Verlangen, ihren Begierden nachzugeben und ihr eigenes Leben zu leben, in Situationen geraten, die ohne Kränkung und Verleugnung anderer oder des eigenen Selbst unmöglich einem glücklichen Ende zugeführt werden können.
Die Form der Erzählung ist glücklich gewählt. Sie lässt in „Slalom“ das ganze Spektrum an Unsicherheiten, an Selbstsuche, an Zweifel und Glück eröffnen, ohne dass die einzelnen Geschichten künstlich miteinander in Verbindung gebracht werden müssten. Die Vielseitigkeit macht auch deutlich, dass all diese Schicksale homosexueller Jugendlicher und Männer zwar von einer sexuellen Orientierung geprägt sind, dass aber die Gefühle, die sie empfinden, keineswegs in eine Einheitsschublade für Gefühle Homoxexueller gesteckt werden können. Im Gegenteil: Indem in „Slalom“ Schwule agieren wie ganz gewöhnliche Menschen, die erst durch ihr Umfeld zu etwas Anderem erklärt werden, wird bewusst, wie normal das Schwulsein doch ist, wie klein die Abweichung zwischen hetero- und homosexuell. Die fröhliche Frühlingsbeschwingtheit an den ersten wärmeren Tagen etwa, wenn, wie Huttel schreibt, der Frühling Schultern und Beine der Menschen entblösst und sie den Eisverkäufern in die Arme treibt, wenn Blumen in Form von Sturzbächen auftreten und einem die eigene Haut wieder bewusst wird, diese Frühlingsbeschwingtheit, die Nikos, der Protagonist von „Schlüsselloch“ empfindet, ist so normal, wie Frühlingsgefühle nur sein können.
Eine Freundin als Bollwerk
Trotz der eindeutigen Sympathie für die schwulen Protagonisten laufen die Erzählungen nie Gefahr, andere Perspektiven auszublenden oder gar zu verunglimpfen. Eindrücklichstes Beispiel dafür ist die titelgebende, beklemmende und gleichzeitig wunderschöne und hoffnungsfrohe Erzählung „Slalom“. Jonas, ein ambitionierter Schlagzeuger, ist heimlich in Desiderio verliebt. Seine Freundin Gesa dient ihm als Bollwerk gegen neugierige Fragen, als weiblicher Schutzschild gegen Gerüchte um seine Sexualität. Dass man ihn mit ihr Händchen halten sieht, macht ihn über jeden Verdacht erhaben und gibt ihm Freiraum, im Geheimen seinen wahren Neigungen nachzugehen. Doch Gesa ist rühend besorgt um Jonas, der ihr echt am Herzen liegt. Zudem ist sie nicht dumm und merkt, dass mit Jonas etwas nicht stimmt, dass er ihr ausweicht, dass die Treffen mit ihm immer etwas Gezwungenes haben. Die Beschreibung der Auseinandersetzung zwischen Gesa und Jonas ist so glaubhaft und rührend, die gedrückte, spannungsgeladene Stimmung so eindringlich aufs Papier gebracht, dass man mit den beiden in einem Raum zu sein meint und am Schluss weinen möchte über die verfahrene Situation, die Jonas dazu zwingt, weiter sein Versteckspiel auf Kosten Gesas zu treiben.
Auf wenigen Seiten schafft Sabine Huttel es so in all ihren Erzählungen, spannend, bewegend und äusserst differenziert einem Konflikt nachzugehen, Gefühlen nachzuspüren, Leben zu zeichnen. Einer so schwungvollen, sprachlich sensiblen und einfühlsamen Erzählerin hört man gerne zu. Auch wenn Sie Ihre Worte in Erzählungen giesst. Auch wenn Ihr Thema Geschichten mit Schwulen sind. Mit „Slalom“ hat Sabine Huttel bewiesen, dass sie sich selbst nicht nur hohe Latten setzt, sondern diese auch noch äusserst elegant zu überspringen weiss.
Titel: Slalom Autor: Sabine Huttel Verlag: fhl Seiten: 116 Richtpreis: CHF 18.90
http://www.nahaufnahmen.ch oder direkt zum Artikel: http://www.nahaufnahmen.ch/2011/06/12/sabine-huttel-slalom/